Sep 062007
 

… passt es, dass ausrechnet in der Phase, als den Verfechtern der weiteren Auflösung der bürgerlichen Rechte zunehmend die argumentativen Schwächen nachgewiesen wurden, eine vermeintliche Terrorzelle in Deutschland entdeckt wurde. Und natürlich druckt die so genannte „vierte Gewalt“, die Presse also, die an die Wand gemalten Horrorgemälde von einem möglichen Anschlag schlimmer als in Madrid oder London brav und kritiklos nach. Echte journalistische Arbeit jedenfalls sieht anders aus, als die einfache Übernahme von Presseerklärungen.

Schlimmer noch, die Meinungsmache läuft an. Dort, wo vor einiger Zeit noch halbherzig gefragt wurde, ob es vielleicht mit der Aufgabe unserer freien Gesellschaft zu schnell gehe, wird jetzt gefordert, die Online-Durchsuchung müsse umgehend eingeführt werden. Und Innenminister Schäuble spielt den Beruhigenden, wenn er darauf hinweist, dass kein Grund zur Panik bestehe. Aber die Online-Durchsuchung benötige man unbedingt. Er kann sich halt darauf verlassen, dass die CDU-nahe Presse mit ihm über Bande spielt, um den Koalitionspartnergegner SPD unter Druck zu setzen.

Doch schaut man sich die Argumentation an, hat sich an ihrer Schwäche nichts wesentliches geändert:

  • Mögliche geplante Straftaten oder Terroranschläge lassen sich augenscheinlich mit den Mitteln, die Recht und Gesetz unseren Strafverfolgern gewähren, effektiv aufklären und verhindern. Dieses zeigt auch das aktuelle Beispiel. Aufgabe der Verfassung ist es nicht, den Strafverfolgern die Arbeit so einfach wie möglich zu machen, sondern einen wirkungsvollen Ausgleich zwischen den Rechten des Einzelnen und denen der Allgemeinheit herzustellen. Damit stehen unter anderem die Bürgerrechte des Individuums gegen das Sicherheitsbedürfnis der Staatsgemeinschaft. Die bisherige Trennlinie wird dabei vermehrt in eine Richtung geschoben, in welcher der Präventationsstaat, welcher bereits Realität ist, die Tendenz zum Überwachungsstaat aufweist.
  • Es wird immer so getan, als hätte der Staat keine Überwachungsmöglichkeiten im Internet. Im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung findet aber bereits heute auf richterliche Anordnung hin die Überwachung von eMail und Internettelefonie (VoIP) statt, letzteres in Form einer Übergangslösung, deren endgültige Form sich gerade in der Verabschiedung befindet. Ab Beginn des kommenden Jahres müssen dann die Internetanschlüsse komplett zu überwachen sein. Damit hat jeder Anbieter von Internetanschlüssen normierte Abhöreinrichtungen für die Ausleitung der gesamten Internetkommunikation eines Teilnehmers vorzuhalten, auf welche alle Strafverfolger nach richterlicher Anordnung zugreifen können. Und die nationale Umsetzung Vorratsdatenspeicherung, die auf EU-Ebene bereits beschlossenen ist, ist in vollem Gange. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass hier die EU über die Initiativen der einzelnen Staaten etwas beschlossen hat, wofür es in den einzelnen Staaten schlicht keine Mehrheiten gab. Für keine dieser Maßnahmen gibt es übrigens bisher Untersuchungen über Wirksamkeit und Erfolg. Die Regierung macht einfach einmal, und solange es geht macht sie auf diesem Wege auch weiter. Placebo-Politik im Bereich der inneren Sicherheit – konzeptionelle Arbeit sieht anders aus. Maßnahmen, um die Kommunikation im Internet zu überwachen, gibt es allerdings mehr als genug.
  • Die Online-Durchsuchung stellt allerdings – anders als von der oftmals erschreckend uninformierten Journaille beschrieben – keine Überwachung der Kommunikation dar. Sie ist vielmehr das Eindringen des Staates in die „digitalen Wohnungen“ seiner Bürger. Und nicht ohne Grund ist für die Durchsuchung der Wohnung eines Bürgers ein richterlicher Vorbehalt und die Möglichkeit zur Hinzuziehung beispielsweise eines Anwalts des Betroffenen sowie sein Recht auf Anwesenheit vorgesehen. Was der Innenminister im Bereich des Computers plant, ist die demgegenüber die so genannte „konspirative Durchsuchung„, eine Stasi-Methode, bei der die Betroffenen nicht informiert werden. Eine rechtsstaatliche Methode ist das keinesfalls.
  • Die gesamten Aussagen zur Online-Durchsuchung bleiben (bewusst?) schwammig, unklar und teilweise widersprüchlich. Zunächst wird davon geredet, dass der Bundestrojaner für jeden speziellen Fall individuell angepasst werden müsse. Das sei teuer und zeitaufwendig. Mehrere Wochen würden dafür benötigt. Dennoch möchte man im Notfall ohne richterliche Verfügung tätig werden können, wenn die Zeit dränge. Das passt nicht zusammen, denn wenn die Zeit zur Anpassung der Software vorhanden ist, kann auch ein Richter jederzeit informiert werden. Darüber hinaus sollen auch Personen aus dem Umfeld von Verdächtigen Gegenstand der Online-Durchsuchung werden können. Damit ist praktisch ausgeschlossen, dass es bei der im Raum stehenden Zahl von maximal 10 Durchsuchungen im Jahr bleiben wird. Darauf weist auch die zahlenmäßige Entwicklung der anderen Überwachungsmaßnahmen hin. Die Anzahl der Telefonüberwachungen steigt beispielsweise beinahe exponentiell.
  • Ungeklärt ist ebenfalls, wie der Bundestrojaner auf die EDV-Systeme gelangen soll. Hier stehen unter anderem das konspirative Eindringen in die Wohnung des Verdächtigen ebenso wie Phishing und die Vortäuschung von offiziellen Behördenmails auf dem Programm.
  • Völlig ungeklärt ist weiterhin, wie verhindert werden soll, dass Informationen der privaten Intimsphäre ausgespäht werden. Die von den Befürwortern der Online-Durchsuchung vorgeschlagenen Lösung eines „Richterbandes“ ist offenkundig nicht praktikabel. Darüber hinaus weist bereits mindestens ein konkreter Fall darauf hin, dass bereits die bestehenden Überwachungslösungen nicht sicherstellen, dass Mitarbeiter der Strafverfolger diese für ihre privaten Zwecke nutzen. Der Staat wird bei der Online-Durchsuchung noch schlechter die missbräuchliche Nutzung von Informationen des privatesten Bereichs verhindern können.
  • Bis heute ist ebenfalls nicht geklärt, wie der Staat sicher stellen möchte, dass bei einer Entdeckung des Bundestrojaners keine falschen Informationen untergeschoben werden. Die Aussage, dass die Software nicht zu entdecken sei, ist für jeden Menschen, der sich auch nur minimal mit IT befasst, nicht glaubhaft.
  • Ebenfalls keine eindeutigen Aussagen gibt es zur nachträglichen Information eines Verdächtigen von der Maßnahme. Obwohl dort vorgeschrieben, funktioniert dieses bereits bei der Telefonüberwachung nicht. Diese Information ist allerdings unabdingbar, damit Betroffene gegen unberechtigtes Eindringen in ihren Intimbereich rechtlich vorgehen können und widerrechtliche Anwendung von Überwachungen rechtsstaatlich verfolgen können. Zudem muss es dem Betroffenen möglich sein, auf diesem Wege Schadensersatz einzufordern, wenn die Maßnahme die Stabilität seines Systems beeinträchtigt hat und ihm deshalb wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zu derartigen Ansprüchen kommen kann, wird von den Befürwortern zur Zeit entweder klein geredet oder komplett geleugnet.
  • Die Maßnahmen, die EDV-Systeme von Verdächtigen für den Zugriff von außen öffnen, können prinzipiell auch von anderen genutzt werden. Bisher berät das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Bereich der EDV-Sicherheit. Diese Arbeit wird damit konterkariert, schlimmer noch: das Vertrauen in die Richtlinien und Informationen des BSI wird sinken, mit der Folge, dass die Gefahr erfolgreicher Angriffe auf EDV-Systeme in Deutschland durch Wettbewerber oder Geheimdienste anderer Staaten zum Zwecke beispielsweise der Industriespionage zunehmen werden.

Kurz: Die erkennbaren Risiken der Online-Durchsuchung scheinen deutlich ausgeprägter, als ein möglicher Nutzen. Bevor über einen weiteren Ausbau von Überwachungsmaßnahmen nachgedacht wird, muss zunächst einmal eine Überprüfung der bisher neu eingeführten Mittel hinsichtlich Erfolg, Kosten und Missbrauch statt finden. Dass dieses bisher nicht passiert ist, dafür wird die Regierung gute Gründe haben. Ich bin mir sicher, dass dann das gesamte Ausmaß der Placebo-Politik sichtbar würde.

Nach den Erfahrungen der Arbeit von CDU/CSU in der aktuellen Bundesregierung und ihrem Umgang mit Ihrem Koalitionspartnergegner SPD kann ich meine Partei nur auffordern, sich auf Bundes- und Landesebene nur in solche Koalitionen zu begeben, in welchen der Koalitionsvertrag die Bürgerrechte sichert und gegebenenfalls wieder herstellt und darüber hinaus sicher gestellt wird, dass das Innen- und Justizministerium von Liberalen oder Grünen besetzt werden. Allerdings ist auch dabei darauf zu achten, dass es keine Politiker vom Schlage eines Ingo Wolf sind. Mit den Schäubles und Wiefelspützes dieser Welt ist jedenfalls kein Staat zu machen – jedenfalls kein Rechtsstaat.

  4 Antworten zu “Wie Arsch auf Eimer…”

  1. … durchziehen seit heute die Diskussion über die innere Sicherheit. Gemäß Meldung von heise online äußerte sich Bundesjustizministerin Zypries heute folgendermaßen: „Viele, die lautstark die Überwachung der Internet-Kommunikation von potenziellen Terror

  2. Ich bin noch keine 3 Minuten von der Arbeit zu Hause und habe schnell noch auf Empfehlung von Kai Billen vom Rabenhorst Phoenix angeschaltet. Gerade pünktlich zu den Ausführungen Reihnard Grindel (CDU) zur Notwendigkeit der Online-Durchsuchung, die da sin

  3. >> Wie Arsch auf Eimer passt es, dass ausrechnet in der Phase, als den Verfechtern der weiteren Auflösung der bürgerlichen Rechte zunehmend die argumentativen Schwächen nachgewiesen wurden, eine vermeintliche Terrorzelle in Deutschland entdeckt wurde.

    Bedenkt man, dass Herrn Schäuble die Überwachung dieser Zelle schon lange bekannt war, so stellt sich mir direkt die Frage, ob der Zugriff nicht bewusst just zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hat. Zumal man das Umfeld ja anscheinend noch nicht ausreichend sondiert hatte. Ob man die weiteren Mitbeteiligten hätte fassen können, hätte man noch etwas länger ermittelt?

  4. Oliver Fink greift in seinem Blog die in Deutschland zufällig kurz vor der Innenministerkonferenz aufgeflogene mutmaßliche Terrorzelle auf und rekapituliert die jüngsten Ereignisse sowie die daraus resultierenden vehementen Forderungen nach Online-Durchsu

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