Okt 192007
 

Im Streik um die Forderungen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach einem eigenständigen Tarifvertrag und einer Lohnerhöhung von bis zu 31 Prozent ist ein deutlicher Wechsel der öffentlichen Stimmung wahr zu nehmen. Mittlerweile stehen die Lokführer der GDL komplett isoliert gegen die Deutsche Bahn AG, die Gewerkschaften Transnet und GDBA sowie die Mehrheit von Politik und Presse und damit auch gegen die öffentliche Meinung. Sind die Forderungen der GDL also unberechtigt?

Die Forderungen
Die wesentlichen Forderungen der GDL sind zum einen die Vereinbarung eines eigenständigen Tarifvertrages mit der Bahn AG sowie Gehaltsanpassungen in einer Höhe von bis zu 31 Prozent. Auf der einigermaßen unübersichtlichen Website der GDL findet man die Forderungen in einer Pressemitteilung vom 29. August übersichtlich zusammen gefasst. Diese Forderungen erscheinen angesichts der Tatsache, dass beispielsweise Lokführer in der Schweiz ungefähr das dreifache der deutschen Kollegen verdienen und eines kolportierten Bedarfs der Bahn AG von ungefähr 1.000 zusätzlichen Lokführern nicht einmal unangemessen. Wenn die Bahn auf die Privatisierung hinarbeitet, dann täte sie gut daran, sich ganz schnell auch auf marktwirtschaftliche Prinzipien von Angebot und Nachfrage einzustellen. Die deutschen Lokführer scheinen in diesem Zusammenhang eindeutig unterbezahlt zu sein – verwunderlich, wenn man sich die Preiserhöhungsorgien der Bahn in den letzten Jahren ansieht.

Vorwurf der Spaltung der Gewerkschaften
Transnet und GDBA werfen der GDL vor, sie würde mit ihrer Forderung nach einen eigenständigen Tarifvertrag die Arbeiterschaft der Bahn AG spalten. Dabei bleibt völlig unberücksichtigt, dass beide Gewerkschaften die Unterbezahlung der Lokführer über Jahre und Jahrzehnte hingenommen haben und anscheinend – trotz der unseligen 35-Stunden-Woche-Kampagne – hinnehmen, dass Lokführer in der Regel 41 Wochenstunden arbeiten. Wer Teile der Belegschaft so im Stich lässt, muss sich nicht wundern, wenn diese sich anders organisieren und dann ihre Interessen selbst durchsetzen. Glücklicherweise gibt es in der Bundesrepublik die so genannte Koalitionsfreiheit, die zum Unmut des DGB und seiner Untergewerkschaften eben auch bedeutet, dass niemand in Einheitsgewerkschaften gezwungen werden kann. Das ist auch gut so!

Verhältnismäßigkeit
Besonders lustig sind die von der Presse verbreiteten und durch eigene Berichterstattung und Kommentierung generierten Meinungen (Die Bahn schaltet halt mehr Anzeigen als die GDL!) des Otto-Normalbürgers, dass nun auch endlich einmal gut sein müsse mit den Aktionen der Gewerkschaft. Es müsse gut sein? Womit denn? Mit dem bisschen, was bisher an Streikmaßnahmen durchgeführt wurde, eingeschränkt von Gefälligkeitsurteilen deutscher Arbeitsgerichte? Mir fällt hier spontan Lenin ein: „Wenn die Deutschen bei ihrer Revolution einen Bahnhof besetzen wollen, dann kaufen sie sich vorher eine Bahnsteigkarte.“ Passt auch thematisch gut.
Tatsächlich ist es doch so, dass die GDL zu Beginn der Auseinandersetzung alle ihre Maßnahmen brav ankündigte, um die Auswirkungen auf die Bahnkunden gering zu halten. Die Bahn selbst nutzte dieses Wissen dann, um vor gewogenen Arbeitsgerichten ihre Gefälligkeitsurteile abzuholen und somit die geplanten Aktionen zu verhindern. Wo sie dieses nicht konnte, reagierte sie mit Notfallfahrplänen. Diese waren besonders hinterhältig angelegt. Zum einen wies die Bahn damit nach, dass die GDL den Zugverkehr nicht zum Erliegen bringen konnte und schlachtete das anschließend pressewirksam als Schwäche der Gewerkschaft aus. Zum anderen nutzte sie diese Fahrpläne, um den Unmut der Kunden gegen die streikenden Lokführer zu schüren. So fielen beispielsweise auf der Strecke Flensburg-Kiel auch bei der Begrenzung des ersten Streiks auf den Zeitraum von 8 bis 11 Uhr für den ganzen Tag die halbstündigen Verbindungen zwischen Eckernförde und Kiel aus – völlig grundlos. Dass sich dann die GDL entschließt, ihre Maßnahmen nicht mehr rechtzeitig anzukündigen, ist ebenso schlussrichtig wie von der Bahn gewollt: So werden Buhmänner konstruiert.

Verhalten der Politik
Die Politik selbst bezieht mehrheitlich eindeutig Stellung in diesem Konflikt. Die Vertretung der Interessen des Landes und seiner Bürger vorschützend, geht es doch im wesentlichen um zwei Dinge: Zum einen machen gerade die Vertreter der Einheitsgewerkschaften in den beiden großen Volksparteien Lobbyarbeit für den DGB auf Kosten einer kleinen Einzelgewerkschaft. Zum anderen möchten diejenigen, die die Privatisierung der Bahn vorantreiben, natürlich, dass die Braut hübsch bleibt. Potentielle Investoren werden von einer streikwilligen Belegschaft und höheren Lohnkosten selbstverständlich abgeschreckt. Und das senkt dann den für den Bund zu erzielenden Preis. Bei solch strategischen Überlegungen müssen dann auch berechtigte Interessen einer Minderheit für das große Ganze öffentlich diskreditiert werden.

Die Angebote der Bahn
Eines muss man der Bahn lassen: In dieser von rechtlichen und taktischen Winkelzügen durchzogenen Auseinandersetzung sind sie der GDL eindeutig über. Da bieten sie den Lokführern eine Einmalzahlung in Höhe von 2.000 Euro (Wirkung: Man, die legen jetzt aber richtig drauf!) – für die Vergütung bereits geleisteter Überstunden. Diese hätten sie sowieso durch Zeitausgleich oder finanziell kompensieren müssen. Dann bieten sie 10 Prozent mehr Lohn und Gehalt – für 43 statt 41 Wochenstunden. Welche Gewerkschaft könnte solch einem Angebot ohne Gesichts- und Mitgliederverlust zustimmen? Und dann täuscht die Bahn vor, sie böte der GDL einen „eigenen“ Tarifvertrag an – nicht ohne Hinweis, dass sich dieser in die tarifliche Gesamtlandschaft der Bahn einfügen müsse. Zunächst einmal ist der letzte Satz ein Allgemeinplatz, denn schlussendlich müssen alle Vereinbarungen auf irgendeine Weise korrespondieren. Tatsächlich geht es aber um mehr: Die Bahn möchte der GDL allenfalls einen Alibivertrag anbieten, der aber nie „eigenständig“ sein soll, sondern vielmehr eine billige Kopie des Vertrages mit den anderen beiden Gewerkschaften. Mit all diesen „Angeboten“ soll die GDL vorgeführt werden und die Presse spielt willig mit.
Wer wirklich wissen will, wie Hartmut Mehdorn so etwas macht, der kann sich ja einmal bei den wenigen verbliebenen Mitarbeitern der ehemaligen Linotype-Hell AG nach der Art seines Umgangs mit der Belegschaft erkundigen, als er die Firma damals als Vorstandsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG aufkaufte, ausschlachtete und zerschlug. Sorgen und Nöte langjähriger Mitarbeiter um Arbeitsplatz und Zukunft drückte Mehdorn dabei rücksichtslos bei Seite, provozierte auch hier den Arbeitskampf, trieb große Teile der Belegschaft in die Arbeitslosigkeit. Mit derselben Vehemenz betreibt er jetzt die Privatisierung der Bahn, jederzeit bereit, das auf dem Rücken der Mitarbeiter zu realisieren.

Tatsächliche Ziele
Für die GDL geht es jetzt um alles. Die Behauptungen, die Bahn versuche, die Gewerkschaft zu zerschlagen, sind so weit nicht hergeholt. Der Bahnvorstand möchte mit möglichst wenig Gewerkschaften verhandeln, handzahme Einheitsgewerkschaften, deren Vertreter bequem mit Pöstchen abgefunden werden können, sind bevorzugt. Dementsprechend muss die aufmüpfige GDL von der Bildfläche verschwinden, sie muss die Auseinandersetzung sichtbar verlieren. In diesem Ziel weiß sich die Bahn mit Transnet und GDBA einig, die sich durch eine wirkliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer bedroht sehen und den Konkurrenten vernichtet sehen wollen. Und ihre Lobbyisten in den beiden großen Volksparteien unterstützen dieses Konzert der Gegner der GDL. Es begann mit der Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag, doch jetzt geht es wohl auch um das Überleben der Lokführergewerkschaft.

Abschließende Bemerkung
Gerade die SPD des Herrn Beck, welcher jetzt einerseits populistisch die Verlängerung des ALG-I und andererseits von der Bahn fordert, nicht nachzugeben – genau diese SPD sollte sich fragen, ob sie sich aus Angst vor der Linkspartei komplett der Interessenpolitik des DGB verschreiben und unabhängige Gewerkschaften zerstören möchte oder ob sie sich immer noch als Interessenvertretung der Arbeitnehmer versteht. Wäre sie letztes, könnte sie in dieser Schmierenkomödie nämlich keinesfalls so einfach für eine Seite Stellung beziehen.

  2 Antworten zu “Die Stimmung kippt der GDL weg”

  1. Da habe ich doch glatt einen Aspekt vergessen, nämlich die Selbstbedienungsmentalität im Prinzip Mehdorn, welche der Berliner Kurier unter dem Titel „Die Luxustarife der Bahn-Bosse“ hier schön aufzeigt: http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/print/politik/192451.html
    Da genehmigt man sich selbst viel mehr, als man den Mitarbeitern verweigert. Doppelmoral nennt man das wohl, wobei der Begriff „Moral“ in diesem Zusammenhang ziemlich neben der Spur ist. Danke an Markus für den Hinweis…

  2. … die Forderungen der GdL im aktuellen Tarifkonflikt aus liberaler Sicht wirft Oliver Fink. Und wer jetzt einen Rundumschlag gegen die bösen Gewerkschaften erwartet, wird ziemlich überrascht sein: Oliver untersucht den Forderungskatalog sehr sachlich un

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