Jan 072008
 

Es ist wie jedes Jahr. Immer zu Jahresbeginn, wenn die Liberalen sich in Stuttgart zum Dreikönigstreffen versammeln, muss die Journaille Sensationsmeldungen rund um die FDP produzieren. Da wird dann ein harmloses Papier von Wolfgang Gerhard zum Frontangriff auf den Parteivorsitzenden. Die in Teilen berechtigte Kritik seines Amtsvorgängers beantwortete Guido Westerwelle mit den Worten, er sei damals in die FDP eingetreten, weil man dort diskutieren könne und nicht gleich die Hacken zusammen schlage, wenn der Vorsitzende etwas vorgebe. Anders als in den beiden so genannten „Volksparteien“ möchte man ergänzen.

Besonders skandalisiert wurde allerdings ein Beitrag von Generalsekretär Dirk Niebel im Tagesspiegel, den man mittlerweile auch im Parteiblog nachlesen und kommentieren kann. Dabei ist an dem so gar nichts skandalös.

Was hat Niebel denn tatsächlich geschrieben? Zum Beispiel das hier:

So mufft es bei der großen Koalition wie einst bei der Nationalen Front der DDR. Umfragen sollen den Weg des Fortschritts weisen wie einst Politbürobeschlüsse. Wahlen muss man nicht fürchten, solange Umfragen Machterhalt im Block der Parteien und Massenorganisationen versprechen. Die Oppositionsrechte im Parlament sind koalitionsfreundlich gering ausgestattet. Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände sind domestiziert: Tarife werden im Kanzleramt ausgehandelt. Im Gesundheitswesen herrscht Planwirtschaft. Das Weltgeschenk der Konjunktur wird genommen wie einst der Strauß-Honecker-Kredit. Wozu dann noch heikle Strukturreformen beim Steuersystem oder am überregulierten Arbeitsmarkt?

Schlimm? Allenfalls die Tatsachen, die Niebel beschreibt, sind schlimm. Aber man wird doch noch sagen dürfen, wie es ist!

Oder das hier:

Die Neujahrsansprache aus dem Bundeskanzleramt lobte folgerichtig die eigene Bilanz wie dereinst ein Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees die Erfolge seit dem letzten Plenum.

Aber genau so war es doch! Jeder, der mit nötigem Abstand und Sachverstand die Arbeit der so genannten „Großen Koalition“ bewertet, kann die Bilanz von Angela Merkel wohl kaum anders als Schönfärberei nennen.

Weiter gemäß Niebel:

„Mehr Freiheit wagen“ wollte die Kanzlerin am Start. Sie ist zurückgetreten von diesem Anspruch. Gewollt oder ungewollt: Aus der Politik der kleinen Schritte ist eine Politik des Rückschritts geworden. Mehr Misstrauen üben, heißt die tatsächliche innenpolitische Devise. Neugieriger und allwissender war der Staat nie. Der Bürger wird so gläsern wie die Kuh im Dresdner Hygienemuseum. Vorratsdatenspeicherung bedeutet Generalverdacht, Fingerabdruck im Pass nicht weniger. Steueridentifikationsnummer hieß in der DDR Personenkennzahl. Die Balance von Bürger- und Freiheitsrechten gelingt immer weniger. Ein „unsichtbares Überwachungsnetz“ moniert der Bundesdatenschutzbeauftragte. Das BKA will nach dem Lausch- auch den Spähangriff. Autokennzeichen werden schon automatisch mit Fahndungslisten verglichen. Online-Durchsuchungen nehmen Gestalt an.
Terrorabwehr ist eine wichtige Aufgabe unseres Staates, und er erfüllt sie gut. Dafür braucht er die Aufmerksamkeit der Bürger. Horrorszenarien, wie sie dem Innenminister der großen Koalition ab und an entschlüpfen, sind kontraproduktiv. Weil in der DDR tagein, tagaus die Gefahr durch die „Bonner Ultras“ ausgemalt wurde, hat schließlich keiner daran geglaubt. Der große Unterschied: Die Terrorgefahr ist real.

Nicht umsonst lautet der Slogan der Gegner der Vorratsdatenspeicherung „Keine Stasi 2.0!“ Denn das, was der offenbar paranoide Innenminister plant und die Kanzlerin vorbehaltlos unterstützt, ist nichts anderes als DDR NG in der Innenpolitik. Da werden gewalttätige Demonstranten flugs und unrechtmäßig zu Terroristen wie vor dem G8-Gipfel, da wird die Bundeswehr mit ihren Kampfjets unrechtmäßig im Inneren gegen friedliche Demonstranten eingesetzt (Wann werden wohl das erste Mal Soldaten auf Bürger schießen wie dereinst an der innerdeutschen Grenze?), da möchte der Innenminister liebend gern Flugzeuge abschießen dürfen – auch das unrechtmäßig, da sollen Körpergeruchsproben von Verdächtigen entnommen werden – eindeutig eine Stasi-Methode, da hebt die Polizei im Vorfeld der G8-Demonstrationen das Postgeheimnis einfach und unrechtmäßig auf, da soll die Wohnung heimlich durchsucht werden dürfen – in der DDR hieß das noch „konspirative Durchsuchung“ und war eine anerkannt Stasi-Masche, schließlich natürlich dasselbe im Netz, da heißt es nun „Remote Forensic Software“, als Krönung des ganzen der Generalverdacht für die gesamte Bevölkerung namens Vorratsdatenspeicherung.

Der nächste logische Schritt müsste nun die Einführung von IM aka Blockwarten sein. Ich bin einmal gespannt, welchen Begriff und welche Argumentation man sich dafür einfallen lässt. Da der Feind ja unter uns ist, müssen sich treue Staatsbürger eigentlich freiwillig selbst überwachen – im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Nur die Erziehungscamps, die man früher Umerziehungslager nannte und deren (Wieder-)Einführung die Union nun fordert, die stammen aus einer anderen Zeit. Aber wer wird das so genau nehmen?

Und dann soll Dirk Niebel zurücktreten, weil er Angela Merkel damit in Verbindung bringt? Weil er sie als Bundeskanzlerin dafür verantwortlich macht? Die richtige Forderung müsste sein: Angela Merkel müsste zurücktreten, weil sie ihren Amtseid verletzt hat. Frau Merkel weigert sich, Schaden von unserem Land abzuwenden und treibt es in einen Überwachungsstaat. Der erste wirklich freie und demokratische Staat auf deutschem Boden soll nach Kaiserreich, Weimarer Republik, 1000jährigem Reich und der DDR jetzt auch in einen Obrigkeits- und Untertanenstaat verwandelt werden. Man kann über Ausmaß von Überwachung, Entmündigung und Unterdrückung streiten. Man kann darüber streiten, inwieweit man diese Staaten miteinander vergleichen kann. Unstrittig ist jedoch: eine freie, demokratische Gesellschaft eigenverantwortlicher Bürger ist nicht das Ziel von SPD, CDU und CSU. Sie misstrauen dem Bürger, wollen ihn bevormunden, überwachen und sehen uns alle als potentielle Verdächtige. Darin liegt der wirkliche Skandal.

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