Jan 182008
 

In meinem gestrigen Artikel wies ich bereits auf die Schwierigkeit hin, Nokia zu boykottieren, weil die Alternativen begrenzt sind und der finnische Hersteller meiner Meinung nach ziemlich gute Handies baut. Ich schrieb auch, dass der Boykott von Nokia-Produkten eine legitime Haltung ist, weil jeder schließlich selbst nach seinen Kriterien entscheiden soll, was er bei wem kauft. Es stellt sich allerdings die Frage: Ist ein Boykott auch eine sinnvolle Entscheidung?

Ich glaube nein, auch wenn die wahrscheinliche Abwanderung des Konzerns für Bochum und Umgebung sowie für die konkret vom möglichen Verlust des Arbeitsplatzes Betroffenen eine katastrophale Entscheidung ist; auch wenn – sofern die entsprechenden Aussagen stimmen – der Konzern in Bochum wirtschaftlich erfolgreich arbeitet und der Konzern die Mitarbeitervertreter wohl bis zuletzt über seine Planungen im Unklaren ließ oder gar falsch informierte; auch wenn Nokia massiv Fördermittel eingestrichen hat.

Natürlich ist es werbewirksam, wenn Politiker jetzt – heise online berichtet – ihre Handies umtauschen oder Minister so etwas gleich für das gesamte Ministerium überlegen:

Bundesverbraucherminister Horst Seehofer tauscht aus Solidarität mit den Beschäftigten des Nokia-Werks in Bochum sein Handy aus. […] Wenn man [einem bekannten und oft kritisierten Boulevardblatt] Glauben schenkt, überlegt Seehofer sogar, ob Nokia aus seinem gesamten Ministerium verbannt werden könnte. SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzender Peter Struck habe sein Nokia-Gerät bereits zurückgegeben und sein Büro mit der Neuanschaffung eines Geräts einer anderen Marke betraut.

Warum also halte ich einen Boykott für Nokia für wenig sinnvoll?

  • Subventionen:
    Die Subventionen für das Werk in Bochum wurden ja wohl deshalb gezahlt, weil es ohne diese Subventionen für Nokia scheinbar nicht interessant genug gewesen wäre, ausgerechnet in Bochum zu investieren. Der Standort hat also Geld dafür ausgegeben, um sich einen Vorsprung gegenüber möglichen Mitbewerbern zu verschaffen. Nokia jetzt vorzuwerfen, noch einmal genau dieselben Kriterien bei einer Standortwahl anzuwenden, ist schon ein wenig scheinheilig: Wer über den Preis gewinnt, wird auch über den Preis verlieren.
    Selbstverständlich besteht kein Zweifel daran, dass Nokia Subventionen zurück zahlen muss, wenn damit verbundene Auflagen nicht erfüllt wurden. Ebenso wenig darf aber auch ein Zweifel daran bestehen, dass Nokia mit der Erfüllung seiner Verpflichtungen nicht in irgendeiner darüber hinaus gehenden Schuld gegenüber den Geldgebern steht. Hätte man mehr von Nokia erwartet und das auch abgesichert haben wollen, hätte man damals eben anders verhandeln und mehr fordern müssen. Dafür, dass man sich das wohl nicht getraut hat, wird es gute Gründe gegeben haben.

  • Standort Deutschland:
    Kommt es zu einem Boykott von Nokia, setzen wir Deutschen ein Zeichen, eines das sagt: Wenn Du – wie Nokia damals – vor der Wahl stehst, in Deutschland oder woanders zu investieren, dann investiere lieber gleich woanders. Denn Marken, die sich entscheiden, gar nicht erst in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen, können dann auch nicht kritisiert werden, wenn sie diese später einmal verlagern wollen oder müssen.
    Kurz: Hätte Nokia von Anfang an woanders produziert, also den Menschen, die jetzt in Bochum arbeitslos zu werden drohen, gar nicht erst Arbeitsplätze geschaffen, wäre die Firma nun besser dran. Oder boykottieren wir alle Hersteller, die gar nicht in Deutschland produzieren? Es ist doch paradox: ein Unternehmen, dass zumindest eine Zeit lang in Deutschland Arbeit geschaffen und Steuern entrichtet hat, ist in der öffentlichen Meinung schlechter dran, als eines, das so etwas noch nie gemacht hat. Rational ist das nicht zu vermitteln.

  • Umgang mit Mitarbeitern:
    Ich denke, es ist legitim, wenn sich der Verbraucher beim Einkauf für Produkte entscheidet, die unter fairen Bedingungen hergestellt werden. Das sollte nicht nur für Waren aus Entwicklungsländern gelten, sondern selbstverständlich auch für bei uns hergestellte Artikel. Selbst wenn sich Nokia in diesem konkreten Fall gegenüber den Mitarbeitern nicht korrekt verhalten haben sollte, wäre es gut, setzte jeder, der jetzt gern mit in den Chor der Kritiker einfallen möchte, die Qualität des Umgangs mit den Beschäftigten dort einmal in Relation zu Berichten über Arbeitsbedingungen beispielsweise bei H&M oder Lidl. Ich sehe da für mich sehr starke Unterschiede in der Qualität des Umgangs auf der einen und der Stärke der öffentlichen Erregung auf der anderen Seite.

Ein Boykott ist meiner Meinung nach aus sachlichen Gründen weder aus eigenem Interesse für den Standort Deutschland noch aus moralischen Gründen gerechtfertigt.

Auf einem ganz anderen Blatt stehen übrigens Arbeitskampfmaßnahmen der Mitarbeiter bei Nokia selbst: Natürlich haben die Arbeiter und Angestellten des finnischen Unternehmens jedes Recht und jeden Grund, für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze zu kämpfen. Ohne jede Frage würde ich mich freuen, wenn es gelänge, die Arbeitsplätze in Bochum zu erhalten. Und dass eine Drohung der Imageschädigung und Kaufenthaltung ein gängiges Mittel in diesem Arbeitskampf ist, halte ich ebenfalls nicht für unredlich. Wenn allerdings Politiker dieses ausschlachten – denn um wirkliche Solidarität geht es dabei doch nicht, sondern um den eigenen Vorteil – dann sollte man es als das benennen dürfen, was es ist: sachlich und moralisch falsch – Populismus pur.

Kommentare sind derzeit nicht möglich.