Mrz 192008
 

Gestern berichtete die Financial Times Deutschland unter dem Titel „Wie in Hessen künftig regiert wird“ über eine mögliche Minderheitsregierung unter Führung von Roland Koch in Hessen.

Geschieht nicht noch ein Wunder, wird Hessen zum politischen Versuchslabor: Noch nie hatte eine geschäftsführende Landesregierung eine Mehrheit im Parlament gegen sich, die ihr das Regieren versauern will. Doch machtlos ist Ministerpräsident Roland Koch deshalb nicht.

So führt die FTD ein. Und was hier so negativ klingt, hat auch eine durchaus positive Seite. Dem Parlament, durch die Einbindung der jeweiligen Mehrheit in die Regierungsarbeit oftmals zur Vereinigung majorisierten Abnickens reduziert, wird in dieser Situation mehr Macht zuwachsen. Das jedoch kann ja durchaus positiv sein – und die demokratische Kultur stärken.

Wie stellt die FTD die Situation dar?

Der Ausnahmezustand droht damit in Hessen zur dauerhaften Einrichtung zu werden. Als Spitze der Verwaltung bleibt die Regierung nach Ansicht [des Staatsrechtlers Martin] Morloks handlungsfähig. „Sie kann auch weiterhin Personalentscheidungen treffen„, sagt er. Auch an der Aufstellung eines Haushaltes würde die Regierung Koch wohl nicht scheitern. „Mit einem Nothaushalt könnte die Landesregierung die rechtlich vorgeschriebenen laufenden Ausgaben auch ohne Haushaltsgesetz tätigen„, sagt der Staatsrechtler. Das betrifft zum Beispiel die Besoldung der Beamten.

Nun denn, wo bleibt denn nun die Beschreibung des Ausnahmezustands? Was ist die Katastrophe daran, wenn eine Regierung sich nicht blind auf die Unterstützung des Parlaments verlassen kann? Vielleicht resultiert daraus auch eine zunehmende Kommunikation und Sacharbeit anstelle des sonst üblichen Lagerdenkens. Temporäre, inhaltliche „Koalitionen“ wäre möglich – echte Parlamentsarbeit eben.

Eine geschäftsführende Regierung ist nicht der Gegner des Parlaments„, sagt Koch versöhnlich. SPD und Grüne sind dagegen auf Konfrontation aus. Sie wollen Gesetze beschließen, die Kochs Regierung dann umsetzen muss – ob es ihr passt oder nicht. Mit der Abschaffung der Studiengebühren, der Rückkehr in die Tarifgemeinschaft der Länder und der Änderung des Sparkassengesetzes soll die geschäftsführende CDU-Regierung gequält werden.

So kann man es theatralisch ausdrücken. Auf der Sachebene bleibt nur soviel davon übrig: Wo sich parlamentarische Mehrheiten in der Sache ergeben, werden diese genutzt. Das ist weder unanständig noch unüblich. Üblicherweise liegen die Mehrheiten lediglich auf Seiten der Regierung. In Hessen muss und wird das wohl nicht so sein. Es scheint, als habe Roland Koch seine neue Rolle eingesehen und akzeptiert. Ob dieser Anschein trügt, wird sich in der praktischen Arbeit des neuen Landtags schnell heraus stellen.

Koch hat noch andere Möglichkeiten, den Tatendrang der „destruktiven Mehrheit“ zu bremsen. Er kann zum Beispiel ein vom Landtag beschlossenes Gesetz zurückweisen. Die Abgeordneten müssten den Einspruch dann wieder überstimmen.

Auch hier wieder Miesepeterei: Was ist an einer Mehrheit „destruktiv“, die ihre inhaltliche Übereinstimmung in Beschlüsse umzusetzen versucht? Hier wird unterstellt, diese Beschlüsse kämen nur zustande, um Roland Koch zu behindern. Anders herum wird ein Schuh draus: Es wird sich zeigen, ob Roland Koch ein „destruktiver Ministerpräsident“ ist, der Entscheidungen der Mehrheit des Parlaments durch formale Tricks verzögern möchte. Den für das beschriebene Verfahren gilt:

Das würde das Gesetzgebungsverfahren zumindest verzögern.

Eben: verzögern, aber nicht verhindern. Darauf bleibt die Macht des Ministerpräsidenten im Grundsatz beschränkt. Und so schließt der Artikel:

Das Beispiel Hessen zeigt, dass für die Funktionsfähigkeit einer parlamentarischen Demokratie die Gesprächsfähigkeit zwischen den Parteien notwendig ist„, sagt Staatsrechtler Morlok. „Das lernen die Parteien dort gerade.

Das ist doch auch gut so. Vielleicht überraschen uns die hessischen Parteien und Politiker dieses Mal sogar positiv, nachdem sie sich vor und nach der Landtagswahl nach besten Kräften blamiert haben. Vielleicht haben sie ihre Verantwortung inzwischen einigermaßen begriffen. Bevor wir jetzt in typischer Manier die möglichen Risiken und Probleme an die Wand malen, könnten wir ja auch ganz entspannt abwarten, was passiert. Vielleicht erleben wir gerade eine Sternstunde in der Entwicklung der parlamentatischen Demokratie in Deutschland. Möglich wäre es.

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