Gestern haben die verschiedenen Landtagsfraktionen die Ergebnisse der Schulreform in Schleswig-Holstein bewertet. Dabei haben die Regierungsfraktionen erwartungsgemäß eine positive Bilanz gezogen und damit deutlich gemacht, dass sie die konkrete Situation an den Schulen überhaupt nicht mehr kennen.
Jürgen Weber (SPD) feiert das Ergebnis der Reformen mit den Worten:
Die Schulreform greift flächendeckend. In allen Landesteilen ist die Umwandlung der bisherigen Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Regional- und Gemeinschaftsschulen in vollem Gange. Mit fast 100 Gemeinschaftsschulen und knapp 60 Regionalschulen steht bereits jetzt fest, dass die Gemeinschaftsschule ab dem Schuljahr 2010/11 die am weitesten verbreitete weiterführende Schulart sein wird.
Es mag für Herrn Weber beruhigend sein, dass es landesweit mehr Gemeinschaftsschulen als Regionalschulen gibt und ich gönne ihm die Freude, sich mit „seiner“ Schulform gegen die pädagogische Missgeburt der CDU namens Regionalschule durchgesetzt zu haben. Doch was ist der Gewinn für Eltern und Schüler? Wo haben sich Zustände wirklich gebessert? Egal. Folgendes ist Herrn Weber wichtiger:
Die aus den Kommunalwahlen 2008 hervorgegangenen neuen Mehrheiten in den großen Städten haben die Blockade der letzten Jahre endlich durchbrochen. Drei Regionalschulen und sechs Gemeinschaftsschulen in Lübeck, drei Regionalschulen und vier Gemeinschaftsschulen in Kiel zeigen, dass die Zeit der Blockade in diesen Städten „under new management“ endgültig der Vergangenheit angehört.
Man hat sich politisch gegen die CDU durchgesetzt. Toll. Aber davon ist nicht ein Lehrer mehr vorhanden, wird nicht der Verlust an Unterricht durch den Ausgleich von „Vorgriffsstunden“ kompensiert. Auch die Verschwendung von pädagogischen Kompetenzen in unzähligen Konzeptrunden der Kollegien, die durch permanentes Herumschrauben der so genannten „Großen Koalition“ an den Rahmenbedingungen, unter denen die Schüler lernen dürfenmüssen, entsteht, wird in keiner Weise irgendwie zumindest abgemildert. An eine effektive Nutzung des pädagogischen Potentials der Lehrkörper mag unter dieser Landesregierung niemand auch nur denken.
Doch auch die Sicht von Susanne Herold (CDU) bleibt seltsam beschränkt, wenn sie sich darüber freut, dass die Schulreform weiter als erwartet sei. Immerhin bedankt sie sich dabei explizit auch bei den Lehrerinnen und Lehrern, die durch ihr Engagement diesen „Erfolg“ erst möglich gemacht hätten. Den von ihr wahrgenommenen „Schwung“ der Entwicklung möchte sie mitnehmen. Und weiter geht es in der Pressemitteilung der CDU-Landtagsfraktion:
Besonders wichtig sei es, in den nächsten Jahren die Praxis der Durchlässigkeit der Regional- und Gemeinschaftsschulen zu beobachten. Die Schülerinnen und Schüler sollten optimal auf das Berufsleben vorbereitet werden. Gleichzeitig sollte möglichst vielen von ihnen ermöglicht werden, durch deutliche Leistungssteigerungen zu einem gymnasialen Abschluss zu kommen.
Wie durch Maßnahmen, die es Schülern zunehmend schwerer machen, eine positive Erfahrung eigener Leistung und den daraus resultierenden Erfolg zu erleben, genau die optimale Vorbereitung auf den Beruf erfolgen soll, bleibt das Geheimnis von Frau Herold. Faktisch erleben die Personaler aller Unternehmen, wie einfachste Grundfertigkeiten der Schulabgänger in einer Geschwindigkeit zur Ausnahme werden, dass es einem Angst und Bange werden muss. Die Abwertung des Gymnasiums durch die Verkürzung der Schulzeit von 9 auf 8 Jahre wird die ähnliche Situation in Bezug auf die Studienreife der Abiturienten weiter verschärfen. Leider völlig unironisch gemeint sind die folgenden Sätze von Frau Herold:
Nachdem wir unsere Gymnasien an die bundesdeutschen Standards angepasst haben, wollen wir jetzt die anderen Bildungsgänge wettbewerbsfähig machen.
Da bleibt einiges zu befürchten. Das Schrauben am Bildungssystem nimmt kein Ende, pädagogische Arbeit wird für die Lehrkräfte künftig immer mehr ein Randthema werden. Der Blick von Ekkehard Klug (FDP) zeigt dort eine deutlich realistischere Einschätzung der Situation an Schleswig-Holsteins Schulen:
Die neue Schullandschaft ist eine unfertige Großbaustelle mit vielen Problemen – von der Konstruktion der neuen Schularten bis zur Gewährleistung der künftigen Bildungsqualität.
Verlierer sind dabei vor allem die Haupt- und Realschüler an den bislang nicht umgewandelten Schulen, aber auch die höheren Jahrgänge der Haupt- und Realschüler an jenen Schulen, die im 5. Jahrgang bereits zu Regional- oder Gemeinschaftsschulen umgewandelt worden sind. Die Bildungsministerin muss für die von ihr versprochene bessere Unterrichtsversorgung in den 5. Klassen der neuen Schularten nämlich so viele Lehrerstunden in diesen Bereich verlagern, dass für die ausreichende Unterrichtsversorgung der übrigen Schüler nicht einmal mehr das Nötigste übrig bleibt.
Klug beschreibt neben den schon angesprochenen Problemen hier vor allem die Tatsache, dass es einfach zu wenige Lehrer gibt. Alle vorgeblichen Verbesserungen in bestimmten – politisch genehmen – Bereichen werden erkauft durch Verluste in anderen – politisch nicht so genehmen – Bereichen. All das auf dem Rücken der betroffenen Schüler. Geheuchelt wird soziale Motivation, gelebt wird knallharte Machtpolitik um ideologische Weltanschauungen ohne Rücksicht auf die Betroffenen durchzusetzen. Dieses ist das besondere Markenzeichen der gesamten Amtszeit von Ute Erdsiek-Rave als Bildungsmeigentlich für Bildung verantwortliche Ministerin. Ekkehard Klug beschreibt das so:
Auf diese Weise schafft die Schulreform der großen Koalition ein Zwei-Klassen-System, bei dem mehreren Schülerjahrgängen der abgeschafften Schularten systematisch ein gutes Bildungsangebot verweigert wird. Bezeichnend ist der ohnmächtige Protest der Kieler Realschulen Ende Januar: Wenn zum Beispiel Elternvertreter der Realschule im Bildungszentrum Mettenhof davon sprechen, dass an dieser Schule einem „Soll“ von 640 Wochenstunden gegenwärtig nur ein „Ist“ von 426 Wochenstunden Unterricht gegenübersteht, so beschreibt dies einen bildungspolitischen Skandal, für den die Bildungsministerin und die sie tragende CDU/SPD-Koalition die volle Verantwortung tragen.
Solche Beispiele gibt es zahllose. So ist – wie mir berichtet wurde – inzwischen aufgrund des Mangels an Lehrkräften in den zehnten Klassen der Jungmannschule in Eckernförde für die Schüler, die Latein als dritte Fremdsprache gewählt haben, der entsprechende Unterricht ausgesetzt. Das ist das wirkliche Bild der Bildungssituation in Schleswig-Holstein: Zu wenig Lehrer, massiver Unterrichtsausfall, in allen Vergleichsstudien Plätze im hinteren Drittel, frustrierte Lehrer, genervte Eltern, keinerlei pädagogischen Konzepte. Da helfen auch die als Nebelbomben geworfenen Presseerklärungen von Herrn Weber und Frau Herold nicht. Die so genannte „Große Koalition“ ist vor allem eine Koalition der großen bildungspolitischen Versager.
Besonders bitter ist, dass die CDU, die im Wahlkampf antrat, um den Raubbau von SPD und Grünen an den Zukunftschancen unserer Kinder zu stoppen, mittlerweile eher zu einer Verschlimmerung der Situation beiträgt. Weder konnte der Unsinn von Frau Erdsiek-Rave gestoppt werden, noch zielen die eigenen Vorschläge in die richtige Richtung.
So bleibt die FDP die einzige Hoffnung für eine Verbesserung der Situation nach der nächsten Landtagswahl. Vorher ist auf keinen Fall eine Wende zum Besseren zu erwarten. Doch auch bei den Liberalen bleibt noch einiges an Potential ungenutzt. So vertritt auch Ekkehard Klug einen staatszentrierten Ansatz, in dem die Bildung beeinflusst durch politische Vorgaben aus einem Landesministerium gelenkt wird. Dabei bleiben zwangsweise der Elternwille und das durch Artikel 6 des Grundgesetzes geschützte Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder eingeschränkt.
Wirklich liberale Ansätze, wie der Antrag des Eckernförder Ortsverbandes für eine Kommunalisierung der Bildungsverantwortung sowie für die Einführung von Bildungsgutscheinen, finden auch bei der schleswig-holsteinischen FDP noch keine Mehrheit. Da ist die Libertäre Plattform in der FDP bereits deutlich weiter. Sie hat ein Positionspapier „Schulpolitik“ vorgelegt, das weniger libertär als vielmehr liberal ist. Stringent, bis auf einige wenige Ausnahmen zustimmungsfähig, zukunftsgewandt, kurz: eine richtig gute Diskussionsgrundlage. Auch für uns im Norden…
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