Okt 152010
 

In Schleswig-Holstein wehrt sich die dänische Minderheit mit der Kampagne Unsere Kinder sind auch 100% wert! zur Zeit gegen die Kürzung der Zuschüsse für ihre Schulen. Diese sollen in Zukunft lediglich noch mit 85 anstelle von 100 Prozent der Kosten an deutschen staatlichen Schulen gefördert werden. Warum die Forderung nach Gleichstellung richtig und gleichzeitig die Haltung des SSW sehr grenzwertig ist, davon handelt dieser Artikel. Und noch von einigem anderen mehr.

Mit diesem Logo wehrt sich die dänische Minderheit gegen Kürzungen bei ihren Schulen.

Als die HaushaltsStrukturKommission von CDU und FDP ihre Empfehlungen zur Konsolidierung der Finanzen des Landes Schleswig-Holstein vorlegte, war klar, dass die Koalitionären im Landeshaus kein lauer Gegenwind erwarten würde. Unter dem Titel Schleswig-Holstein ist auf dem Weg – Handlungsfähigkeit erhalten, Zukunftschancen ermöglichen werden zahlreiche Einschnitte in den Landeshaushalt angeregt, damit die mit überwältigender Mehrheit beschlossene Schuldenbremse eingehalten werden kann. Einer dieser Vorschläge ist die Kürzung der Zuschüsse für die dänische Minderheit von 100 auf 85 Prozent der Kosten, die für einen Schüler an einer staatlichen Schule in Schleswig-Holstein anfallen – gemessen an deren Kosten des Vorjahres.

Historisches: Die Schulgesetzdebatte aus 2007

Doch diese Entscheidung hat auch eine Vorgeschichte: Die so genannte Große Koalition aus CDU und SPD hatte in ihrer grenzenlosen Weisheit beschlossen, die Förderung der dänischen Schulen von 85 auf 100 Prozent anzuheben. Und weil diese Mehrausgabe ja irgendwie kompensiert werden musste, hat sie dann auch gleich die Zuschüsse für die übrigen freien Schulen im Lande von 85 auf 80 Prozent gekürzt. Diese Maßnahme störte nicht nur die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen in Schleswig-Holstein, sondern stieß auch den damaligen Oppositionsfraktionen übel auf.

In den Pressemitteilungen zur damaligen Landtagsdebatte findet man so einige Perlen. So lautet es beispielsweise in der von Susanne Herold (CDU) herausgegebenen Pressemitteilung folgendermaßen:

Susanne Herold, MdL

Die privaten Schulen erhalten damit ein Jahr früher ihre Förderung durch das Land als zu Zeiten der Grünen Regierungsbeteiligung. Es sei schon bemerkenswert, dass die Grünen ihre Liebe zu den Privatschulen erst in der Opposition entdecken.

„Die CDU setzt sich seit Jahren für ein größeres Angebot privater Schulen in Schleswig-Holstein ein. Denn Schulen in privater Trägerschaft bereichern unsere Bildungslandschaft. […] Die Grünen haben in ihrer Regierungszeit mit dazu beigetragen, dass in Schleswig-Holstein deutschlandweit am wenigsten Schüler Schulen in privater Trägerschaft besuchen. Die CDU-Fraktion will das ändern.“

Eine besonders interessante Variante von Bildungsförderung, welche die CDU dort entdeckt hat. Durch Kürzung der Zuschüsse sollen mehr Schüler an die freien Schulen gebracht werden. Respekt!

Für die SPD war Jürgen Weber nicht ganz so kreativ:

Jürgen Weber, MdL

Wir werden das bisherige Referenzjahr 2001 für den Schülerkostensatz künftig verändern und darüber hinaus dafür sorgen, dass sich die finanzielle Situation der deutschen Privatschulen in den folgenden Jahren nicht verschlechtert.

Was wir garantiert nicht mittragen werden, sind Anträge, finanzielle Füllhörner zu öffnen.

Überflüssig zu erwähnen, dass das Bezugsjahr 2001 der Förderung für die freien Schulen bis heute natürlich nicht angepasst wurde. Auch der neue Gesetzentwurf von CDU und FDP sieht das übrigens nicht vor.

Von ganz besonderer Anmut ist allerdings die Argumentation Anke Spoorendonks (SSW):

Anke Spoorendonk, MdL

„Der SSW wird […] im Landtag die Initiative der Grünen zur Verbesserung der Schülerkostenzuschüsse und der Investitionskostenzuschüsse der freien Schulen unterstützen.“

Der SSW warnt die Grünen aber davor, die Schulen der dänischen Minderheit und die freien Schulen gegeneinander auszuspielen: „Es ist sehr bedauerlich, dass die Kollegin Heinold hier der verqueren Argumentation des Landesrechnungshofs folgt. Die dänischen Schulen im Landesteil Schleswig sind die ‚öffentlichen Schulen‘ für den dänischen Bevölkerungsteil. Oder andersherum: Die deutschsprachigen öffentlichen Schulen sind für Angehörige der dänischen Minderheit keine Alternative. Deshalb gibt es sehr wohl sachliche Gründe dafür, einen besonderen Status der dänischen Schulen anzuerkennen.

Die „Warnung“ von Frau Spoorendonk sagt im Grunde folgendes aus: „Der SSW hätte nichts dagegen, wenn die freien Schulen nicht benachteiligt würden. Falls aber jemand darangeht, von den Schulen der dänischen Minderheit Solidarität einzufordern und an den Betrag will, der diesen auf Kosten der übrigen freien Schulen zugeschustert wurde, dann gibt’s Rabatz!“ So sieht also die gerechte skandinavische Gesellschaft aus den Sonntagsreden Anke Spoorendonks in der grauen Realität aus. Schön, auch das einmal so deutlich erfahren zu haben. Zum Thema der dänischen Schulen als ‚öffentliche Schule‘ für die Minderheit komme ich später noch.

Die Grünen forderten über Monika Heinold, wenigstens die Förderung für die übrigen freien Schulen wieder auf 85 Prozent anzuheben:

Monika Heinold, MdL

Die deutschen Schulen in freier Trägerschaft erhalten in der Regel als öffentliche Förderung pro SchülerIn 80 Prozent des Betrages, den das Land pro SchülerIn einer staatlichen Schule ausgibt. […] Pro Jahr ergibt sich hieraus eine Ersparnis von 7,3 Millionen Euro für das Land. Umgekehrt bedeutet dies: Würden die privaten Schulen schließen müssen, kämen auf das Land zusätzliche 7,3 Millionen Euro Kosten zu.

Die Schulen der dänischen Minderheit werden hingegen zu 100 Prozent staatlich finanziert. Der Landesrechnungshof hat hierzu angemerkt, dass ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung dänischer Schulen mit den anderen Schulen in freier Trägerschaft nicht besteht.

Bündnis 90/Die Grünen wollen alle freien Schulen finanziell absichern, um diese Schulform langfristig erhalten zu können. Wir haben eine Änderung des Schulgesetzes in den Landtag eingebracht, der folgende Neuregelungen für die freien Schulen vorsieht:

  • Die Zuschüsse werden von 80 auf 85 Prozent der Ausgaben für eine/n SchülerIn in einer staatlichen Schule angehoben;
  • Die Zuschüsse errechnen sich aus den Kostenberechnungen des Vorjahres;
  • […]

Halten wir kurz einmal fest, was der Landesrechnungshof festgestellt hat: Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung dänischer Schulen mit den anderen Schulen in freier Trägerschaft besteht nicht.

Für die FDP äußerte sich der heutige Bildungsminister Dr. Ekkehard Klug damals nur knapp:

Dr. Ekkehard Klug, MdL / Bildungsminister

„Die Initiative der Grünen enthält wesentliche Punkte, die von der FDP- Fraktion bereits zu früheren Zeitpunkten im Landtag beantragt worden sind.

Wir sehen darin deshalb auch eine brauchbare Grundlage, um die Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft auf faire Weise neu zu regeln. Über Einzelheiten wird dabei noch zu sprechen sein, aber die Richtung stimmt.

Einziger Wermutstropfen der Initiative: Die GRÜNEN haben in der Zeit bis 2005 gemeinsam mit der SPD die Schlechterstellung der Freien Schulen herbeigeführt.“

Okay, die Grünen erhalten einerseits Zustimmung, andererseits auch ihr Fett weg, weil sie natürlich erst in der Opposition entdeckten, wie wichtig die freien Schulen sind. Allerdings beschränkt sich auch die FDP in ihrer Forderung, dass freie Schulen generell lediglich mit 85 Prozent der Kosten von staatlichen Schulen gefördert werden.

Zeitsprung: Kürzungen bei der dänischen Minderheit

Zurück zur aktuellen Debatte. Da erklärt Rasmus Andresen als Sprecher für Minderheitenpolitik für Bündnis 90/Die Grünen:

Rasmus Andresen, MdL

Unabhängig davon, welche Juristen bei Rechtseinschätzung der Minderheitenabkommen auf internationaler Ebene Recht haben, bleibt der Plan, SchülerInnen an den öffentlichen Schulen der dänischen Minderheit mit 85 Prozent von den an öffentlich deutschen Schulen zu fördern, diskriminierend und falsch.

Die Regierungsfraktionen versuchen, mit der rechtlichen Diskussion von der politischen abzulenken. Wer Schülerkostensätze einseitig bei den SchülerInnen von dänischen Schulen kürzt, spaltet bewusst die Gesellschaft.

Es bietet sich an, diese Aussagen einmal sachlich zu sezieren:

  1. Es in der Tat völlig falsch, die Bezuschussung der Schulen der dänischen Minderheit von 100 auf 85 Prozent zu senken.
  2. Es ist auch so, dass es diskriminierend ist, die nichtstaatlichen Schulen der dänischen Minderheit mit 85 Prozent zu fördern, die der deutschen Mehrheit allerdings lediglich mit 80 Prozent. Dummerweise wird in diesem Fall bloß nicht die Minderheit diskriminiert.
  3. Die Regierungsfraktionen versuchen in der Tat, mit einer rein rechtlichen Diskussion von der wichtigen politischen Diskussion abzulenken, wie man mit freien Schulen generell umzugehen hat.
  4. Es schafft Ungerechtigkeiten, wer Schüler an staatlichen und freien Schulen oder wer Schüler an Schulen der Mehrheit und der Minderheit unterschiedlich behandelt. Die von Rasmus Andresen vorgenommene Einschränkung auf die dänische Minderheit ist willkürlich und nicht zielführend.

Es bleibt anzumerken, dass zur Spaltung einer Gesellschaft mehr gehört, als das, was die Grünen da in üblicher Manier herbei alarmisieren.

Spannend ist ja nun die Frage, wie die Koalition auf die erhobenen Vorwürfe reagiert. Schauen wir uns dazu die Pressemitteilung des parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Landtagsfraktion, Günter Hildebrand, an:

Günther Hildebrand, MdL

Dass die Rechtsposition des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages den Grünen nicht ins politische Kalkül passt, ist verständlich. So ist der Diskriminierungsvorwurf an die Landesregierung doch deutlich widerlegt worden!

Der Wissenschaftliche Dienst des Landtages hat in seinem Gutachten glasklar dargestellt, dass trotz einer Reduzierung des Schülerkostensatzes auf 85 Prozent eine Diskriminierung der dänischen Minderheit eben nicht vorliegt. Ganz im Gegenteil: Die Schulen der dänischen Minderheit werden im Vergleich mit den deutschen Ersatzschulen noch immer finanziell besser ausgestattet sein. Das ist ein Faktum.

Eine Diskriminierung wäre nur dann gegeben, wenn die Landesregierung mit ihren Plänen gegen rechtliche Vorgaben verstieße. Dies ist nicht der Fall. Aber geltendes Recht ist den Grünen ja immer dann egal, wenn es politisch nicht ins Konzept passt. Der Vorwurf des Kollegen Andresen geht trotzdem ins Leere – wie so viele Vorwürfe seiner Fraktion bei sachlicher Bewertung der Faktenlage.

Es ist bedauerlich, dass die Fraktion von Bündnis90/Die Grünen erneut mit einem Beitrag eines Sprechers eher um emotionales Aufbauschen, als um sachliche Problemlösung bemüht ist. Wer so handelt will spalten, anstatt zu gestalten! Das ist bedauerlich.

So kann man reagieren – aber souverän geht anders. Dass der Vorwurf des „Kollegen Andresen“ eben in Teilen gerade nicht ins Leere geht, habe ich versucht, oben darzulegen. Generell muss die Fraktion einer Partei, die den Anspruch hat, liberal zu sein, sich schon fragen lassen, wie sie inhaltlich mit dem Thema der freien Schulen umgeht. Ihr Ziel müsste eigentlich sein, dass alle Schüler mit denselben staatlichen Beiträgen gefördert werden, egal an welcher Schule sie unterrichtet werden. Sie müsste sich für eine weitergehende Freiheit der Schulen und eine größere Auswahl an Schulen einsetzen. Und sie muss sich vor allem fragen lassen, warum ausgerechnet eine Partei, die diesen Anspruch an Liberalität erfüllen muss, sich für Kürzungen bei freien Schulen einsetzt. In meinen Augen passt das nicht zusammen.

Allerdings müssen sich auch die Initiatoren der Kampagne für die hundertprozentige Förderung der dänischen Schulen fragen lassen, warum für sie nur die Schüler an den diesen Schulen 100 Prozent wert sein sollen. Wo waren sie, als die dänischen Schulen auf Kosten anderer Schüler besser gestellt wurden? Wieso fordern sie keine Gleichstellung der Schüler an freien Schulen? Sind diese etwa keine 100 Prozent wert? Vielleicht, weil sie an Schulen unterrichtet werden, die den eigenen Vorstellungen nicht entsprechen? Die Initiative läuft in Gefahr, ihr berechtigtes Anliegen zu diskreditieren, weil sie sich den Vorwurf gefallen lassen muss, lediglich Interessenvertretung einer Lobby zu sein und keine gesamtgesellschaftliche Lösung anzustreben. Das ist überaus schade.

Die Inkonsequenz des SSW

Ebenso schade ist, dass die Haltung des SSW nicht stringent ist. Er scheint vielmehr nach dem Prinzip „Wir nehmen alles mit, was wir kriegen können!“ zu verfahren. Unabhängig von der Tatsache, dass das Ansinnen der Landesregierung falsch ist, den Zuschuss für die dänischen Schulen zu kürzen, muss der SSW als Partei der dänischen Minderheit sich schlussendlich fragen lassen, was denn nun gilt:

Entweder sieht der SSW die dänischen Schulen als „öffentliche Schulen“ der dänischen Minderheit. Dann wären die dänischen Schulen quasi-staatliche Schulen, die nach dem Gusto des SSW betrieben werden. Die deutsche Bevölkerungsmehrheit schreibt dieser Minderheit die Ausgestaltung dieser Schulform nicht vor. Dann stellt sich allerdings die Frage, weshalb der SSW sich umgekehrt bemüßigt fühlt, sich massiv in die Ausgestaltung des Schulsystems der deutschen Mehrheit einzumischen, sich – wie in der Vergangenheit – auch gern zum Zünglein an der Waage bildungspolitischer Entscheidungen aufzuspielen. Wenn die Mehrheit sich nicht in die Ausgestaltung des Schulsystems der Minderheit einmischt, dann darf sie umgekehrt wohl dasselbe von der Minderheit erwarten.

Oder aber der SSW sieht die dänischen Schulen als Angebotsschulen für deutsche Staatsbürger, deren Anhänger ähnlich wie die des Waldorfsystems ein besonderes „Lebensgefühl“ auszeichnet, nämlich das, sich zur dänischen Minderheit zu zählen. Dann hat der SSW jedes Recht, sich an den bildungspolitischen Diskussionen im Lande zu beteiligen. Die Schulen der Minderheit haben dann allerdings kein Recht auf eine Sonderbehandlung im Vergleich zu den übrigen freien Schulen.

Der SSW muss sich entscheiden. Beides geht nicht: Eine Sonderlocke für die eigenen Schulen und bei den anderen Schulen mitreden wollen – das passt nicht zusammen!

  Eine Antwort zu “Sind wir nicht alle ein bisschen 100 Prozent?”

  1. Vor einigen Tagen habe ich den dritten Teil des Artikels zum Schulgesetz im Landesblog veröffentlicht. Nachfolgend habe ich ihn aufgeführt. Die Kommentare sind hier im Blog gesperrt, weil sie zum Originalartikel gehören. Nachdem ich im ersten Teil die

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