In meiner Facebook-Timeline sorgt die Meldung der Berliner Zeitung B.Z. für einige Aufregung, in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg habe die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) auf Betreiben der Piraten beschlossen, „dass die Bezirksmedaille nicht mehr an Bürger vergeben werden darf, wenn sie sich im Rahmen einer religiösen Gemeinschaft engagieren.“ Ein solcher Beschluss wäre in der Tat beschämend und ginge über die auch von mir geforderte deutlich schärfere Trennung von Staat und Kirche hinaus. Sie griffe aktiv in die Religionsfreiheit ein, verstieße in meinen Augen gegen Artikel 4 des Grundgesetzes.
Nachdem sich meine Fassungslosigkeit ein wenig gelegt hatte, gab mir der Kommentar eines Facebook-Nutzers zu dieser Meldung den richtigen Anstoß. Er schrieb nämlich: „Ich bin sicher dass das Satire ist.“ Es wäre ja nicht das erste Mal, dass auch ich auf so etwas hereingefallen wäre. Also machte ich mich auf die Suche nach dem Antrag. Und ich fand ihn hier: Drucksache DS/0554/IV.
Und in besagter Drucksache findet sich auch der Antrag der Piraten wieder. Aus
Geehrt wird ein gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement, das durch Einsatz und Kreativität Dinge möglich macht, die den Bürgerinnen und Bürgern des Bezirks zugute kommen und eine Bereicherung und Verbesserung für das Leben miteinander in Friedrichshain-Kreuzberg darstellen. Die zu ehrende Person/Gruppe/Initiative soll sich durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Religion, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht haben.
wird gemäß Änderungsantrag der Piraten
Geehrt wird ein gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement, das durch Einsatz und Kreativität Dinge möglich macht, die den Bürgerinnen und Bürgern des Bezirks zugute kommen und eine Bereicherung und Verbesserung für das Leben miteinander in Friedrichshain-Kreuzberg darstellen. Die zu ehrende Person/Gruppe/Initiative soll sich durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht haben.
Es geht also tatsächlich darum, dass die Medaille nicht mehr an Personen vergeben werden darf, die sich in kirchlichen Organisationen engagieren. Allerdings in etwas anderer Bedeutung, als die Berichterstattung der Berliner Zeitung B.Z. (bewusst?) suggeriert. Als Grundlage für die Verleihung der Medaille ist ein herausragendes Engagement im Bereich der Religion nicht mehr ausreichend. Es meint aber nicht, dass Personen, die sich im Bereich der Religion engagieren, dadurch von der Verleihung dieser Medaille ausgeschlossen wären.
Nun kann man in der Tat der Ansicht sein, dass unter dem Gesichtspunkt der Trennung von Staat und Kirche allein die Tätigkeit ein einer Religionsgemeinschaft für eine staatliche Ehrung nicht ausreicht. (Lassen wir an dieser Stelle übrigens bitte die Debatte darüber weg, ob eine kommunale Einrichtung auch eine staatliche Einrichtung ist.) Macht sich jedoch ein Mitglied einer Religionsgemeinschaft durch seine Tätigkeit dort beispielsweise um ein friedliches Miteinander in der Gesellschaft verdient, darf er – Anders, als es die Mitteilung der Berliner Zeitung B.Z. vermuten lässt! – auch künftig mit der Ehrenmedaille des Bezirks ausgezeichnet werden.
So schreibt es auch der Tagesspiegel:
Für grundlos halten Piraten und Grüne, die den Antrag mitgetragen hatten, diese Befürchtung. „Menschen, die sich im Rahmen einer Kirche ehrenamtlich engagieren, können weiter geehrt werden. Wir fanden nur, niemand sollte geehrt werden, nur weil er zum Beispiel evangelisch ist“, sagte die Fraktionschefin der Piraten, Jessica Zinn. Ist also alles nur ein großes Missverständnis?
Frei nach Shakespeare also zumindest bei Facebook zuviel Lärm um zuwenig Fakten.
Der Beitrag der B.Z. geht übrigens noch weiter:
Und der Bezirk geht noch einen Schritt weiter in die Zukunft ohne Gott: Festveranstaltungen auf der Straße dürfen keine religionsnahen Titel mehr tragen. Weihnachtsfeste müssen künftig als „Winterfeste“ und der Ramadan, sofern er in der warmen Jahreszeit liegt, als „Sommerfest“ gemeldet werden.
Dazu habe ich weder Antrag noch Beschluss finden können. Auch dieser Aufreger klingt beim Tagesspiegel dann wieder deutlich milder:
Fest steht, dass im August ein Fest anlässlich des muslimischen Fastenmonats am Mehringplatz in Kreuzberg nicht „Ramadan-Fest“ hieß, sondern Sommerfest. Ein Weihnachtsmarkt am Spreewaldplatz trug den Namen Winterfest. Angeblich weil auf öffentlichem Grund auf Anweisung des Bezirksamts Religion keinen Platz habe, sagte Timur Husein, Bezirksverordneter der CDU, der für das Ramadan-Fest im Planungsausschuss saß. Er hat nun das Bezirksamt mit einer mündlichen Anfrage um Klärung gebeten. Die Antwort kommt nächste Woche.
Das Wort „angeblich“ des CDU-Bezirksverordneten muss bei der Berliner Zeitung B.Z. dann wohl eher „zufällig“ verloren gegangen sein, die sich schon ganz sicher zu sein scheint, die für die nächste Woche angekündigte Antwort zu kennen. Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Autor Gunnar Schupelius die Konstruktion eines Aufregers wohl sehr viel wichtiger gewesen ist als seriöse journalistische Arbeit.
Update: Henner Schmidt wies mich richtigerweise auf den Unterschied zwischen Berliner Zeitung und B.Z. hin. Ich habe das korrigiert.
13 Antworten zu “Pöse, pöse Piraten? Pöse, pöse Presse!”
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Ganz unabhängig davon, was da welche Zeitung richtig oder falsch berichtet und welche Partei wie instrumentalisiert hat, muss man doch Folgendes festhalten: Auf Antrag der Piraten hat die BVV mehrheitlich aus dem Satz „Die zu ehrende Person/Gruppe/Initiative soll sich durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Religion, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht haben.“ das Wort „Religion“ entfernt.
Nun schließt das gewiss nicht aus, dass auch in Zukunft noch religiöse Bürger_innen geehrt werden können (zumal es ja nur eine beispielhafte Aufzählung ist). Dennoch ist sehr bezeichnend, dass man es für nötig hielt, ausgerechnet die Religion dort zu entfernen. Wenn man es schon für wichtig hält, auf die Trennung von Staat und Religion hinzuweisen, sollte man die Trennung von Staat und Kultur, Staat und Sozialem, Staat und Sport, Staat und Wirtschaft usw. vielleicht auch nicht vergessen. Im Kern haben die kritischen Reaktionen auf den BVV-Beschluss also völlig Recht: Hier wurde einseitig und aus religionsfeindlichem Affekt eine Entscheidung gefällt, die schon in ihrer Motivation nicht den Erfordernissen einer offenen und liberalen Gesellschaft entspricht. Im Ergebnis mag diese Entscheidung keine Folgen haben. Desto schlimmer, dass es sie überhaupt gegeben hat.
Marginalisierung als Kulturkampf
Es stimmt zwar: Es geht nicht um religiöse Motivation oder Zugehörigkeit eines zu Ehrenden zu einer Religion.
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Aber es ist schlimmer als Diskriminierung von Einzelnen:
Denn es geht um die bewußte Streichung eines gesellschaftlichen Bereichs.
In der Beschlußvorlage heißt es nach ausdrücklichem Streichungsantrag der Piraten in Bezug auf den Gesellschaftsbereich „Religion“
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„Geehrt wird ein gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement, das durch Einsatz und Kreativität Dinge möglich macht, die den Bürgerinnen und Bürgern des Bezirks zugute kommen und eine Bereicherung und Verbesserung für das Leben miteinander in Friedrichshain-Kreuzberg darstellen. Die zu ehrende Person/Gruppe/Initiative soll sich durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht haben.“ –
Die Tagungsorganisation für das der Gülenbewegung nahestehende „nichtreligiöse“ „Forum für interkulturellen Dialog“ bleibt auszeichnungswürdig ebenso wie der Bademeister für Seniorenschwimmen, dagegen jahrelanges Engagement im kirchlichen Seniorenkaffeeklatsch oder den Kirchenchor organisieren ist nicht preiswürdig.
Es kommt die Ausrede: Man könnte das dann ja als soziales oder kulturelles Engagement werten.
Schupelius und die Kritiker haben also in der Sache recht.
Ein ganzer „Gesellschaftsbereich“ soll ausgeblendet werden, indem er in der beispielhaften Aufzählung nicht mehr erwähnt wird.
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Darum gehts: Religion wird marginalisiert.
Das Gegenmodell ist der ebenfalls erfolgreiche Piratenantrag, Unisex-Toiletten einzurichten – um Marinalisierung einer Bevölkerungsgruppe aufzuheben.
Thomas Gandow
ich verstehe die Aufregung auch nicht, von daher verstehe ich dieses posting nicht und dass sogar bildblog es verlinkt. Was ist die Aussage? Das ein Einzelner etwas überreagiert hat?
Die Aussage steht klar am Ende des Artikels. Das finde ich zumindest.
Bildblog hat ihn wohl verlinkt, weil Swen Wacker ihn dort eingereicht hat. Die Kriterien, die zur Verlinkung geführt haben, kann man mit Sicherheit bei Bildblog erfragen. Ich bin alles andere als traurig darüber, dort verlinkt zu werden. Selbst habe ich dazu allerdings, abgesehen vom Verfassen dieses Artikels, nichts beigetragen.
Bildblog ist ein Blog der zum großen Teil über die kleinen und großen Verfehlungen innerhalb der Medienlandschaft berichtet. Hier geht es um eine unseriöse Berichterstattung seitens der B.Z.. Kriterium erfüllt, würde ich meinen.
Den Schupelius darf man nicht so ernst nehmen, der ist hauptamtlicher Troll bei der B.Z. Oder evtl. ein Maulwurf der TITANIC. Schließlich behauptet er ja auch, dass Ronald Reagan mit seiner „gewagten Aufrüstung“ die Sowjetunion „in sich zusammenbrechen“ ließ http://yaturl.net/964
Was hinter „zum Beispiel“ steht, ist nach Definition sowieso keine abschließende Aufzählung. Da wird aus dem Wasserglas mit Sturm ja schon ein Schnapsglas.
Die neue Formulierung lässt dennoch den Schluss zu, ein Engagement innerhalb einer Religionsgemeinschaft ist weniger Wert wie Engagement innerhalb einer Sportvereins. Dennoch stehen beide prinziell allen Personen offen, sind aber primäer eine Gemeinschaft, die der Verfolgung eigener Interessen dient.
Auch die alte Formulierung sagt deutlich, dass es nicht reicht, einfach „nur“ evangelisch zu sein, sondern setzte persönlichen überdurchschnittlichen Einsatz voraus.
Die Kritik ist also mehr als berechtigt. Religionsgemeinschaften sind schließlich genauso Gruppen innerhalb unserer Gesellschaft wie der Korbballverein.
Welches Engagement innerhalb einer Religionsgemeinschaft? Fast jede kirchliche Tätigkeit ist die für die Gesellschaft nutzbringend ist fällt unter einen der anderen Punkte.
Ich war selbst über Jahre ehrenamtlich bei der Kirche tätig und ausser der reinen Verwaltungsarbeit ist mit „Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Umwelt“ lässt sich fast jede Tätigkeit abdecken.
Sogar „Bibel und Gebetsstunden“ sind ja immer noch auszeichnungswürdig wen damit die kulturelle und soziale Entwicklung gefördert werden.
Die Kirchen dürfen ihre Erhrenämtler gerne selbst würdigen, der Staat bzw. die Kommune als Vertretung des Staates hat da einfach nichts zu suchen.
Ganz am Rande: Sind nicht die „Bteroffenen“ diejenigen, die das am allerwenigsten stören sollte? Ein kirchliches Ehrenamt hat frau i.a. nicht für Ruhm und Ehr inne.
„Die Kirchen dürfen ihre Erhrenämtler gerne selbst würdigen, der Staat bzw. die Kommune als Vertretung des Staates hat da einfach nichts zu suchen.“
inwiefern gilt das dann nicht für sportvereine, jugendarbeistanbieter oder wirtschaftsverbände?
„Fast jede kirchliche Tätigkeit ist die für die Gesellschaft nutzbringend ist fällt unter einen der anderen Punkte.“
dann fragt sich, warum der punkt „religion“ unbedingt gestrichen werden musste.
offensichtlich ohne rationale begründung und ausschliesslich aus antireligiösem affekt.
„Als Grundlage für die Verleihung der Medaille ist ein herausragendes Engagement im Bereich der Religion nicht mehr ausreichend.“
was soll denn der unfug? inwiefern ist „herausragendes Engagement im Bereich der Religion“ etwas anderes, und daher weniger würdigenswertes als „herausragendes Engagement im Bereich [sport, wirtschaft, …]“?
Danke für die Recherche. Sie hat mir die Beschäftigung mit dem Thema während der Arbeitszeit erspart 🙂
Immer wieder gern. 😉