Jan 192014
 

Der heutige Europaparteitag der FDP brachte für klassisch Liberale oder gar Libertäre den nächsten Nackenschlag, denn zum einen wurde Alexander Graf Lambsdorff auf Platz 1 der Liste gewählt, zum anderen wurde Holger Krahmer weder auf Platz 5, noch auf Platz 6 gewählt. Danach trat er nicht mehr an.

Lambsdorff hat mit seinem Onkel Otto Graf Lambsdorff außer dem Namen so gar nichts gemein. Er steht weder für liberale Haltung noch für wirtschaftlichen oder geldpolitischen Sachverstand. Kurz: Der Onkel wäre entsetzt über den Neffen. Begeistert wäre er jedoch von Holger Krahmer, dem Einzigen, der in der letzten Periode des Europaparlaments mit liberalen Inhalten wahrgenommen wurde. Aufgefallen sind ja durchaus auch andere, beispielsweise Dauerurlauberin Silvana Koch-Mehrin oder Schummeldoktor Jorgo Chatzimarkakis.

Auf Platz 7 trat Hasso Mansfeld an, der sich am 17. Januar auf The European mit der vielbeschworenen „europäischen Identität“ im Rahmen seiner Kandidatur auseinandergesetzt hat. Dieser Artikel bedarf dann doch durchaus einer Kommentierung.

Zunächst versucht sich Mansfeld an der Beschreibung einer nationalen Identität auf Basis der Abgrenzung:

So geht es mit den Zuschreibungen, so geht es mit der Identität. In meiner Heimatstadt bin ich Hasso Mansfeld, in Rüdesheim bin ich „von der Ebsch Seit“, in Bayern bin ich Rheinländer, in Frankreich Deutscher und in den USA werde ich als recht typischer Kontinentaleuropäer wahrgenommen. Die Facetten kultureller Identität bilden sich erst in der Abgrenzung deutlich heraus, darin wie wir wahrgenommen werden, darin wie wir uns in Abgrenzung selbst definieren.

Doch das reicht ihm natürlich nicht aus:

Doch das ist nicht genug. Wo Identität vor allem in der Abgrenzung von anderen gesucht wird, ist sie fragil und unbestimmt. Das gilt für die eigene Individualität ebenso wie für gemeinsame kulturelle Identitätskonzepte. Wie der Ruderer auf dem Rhein treibt ein nur negativer Begriff von Identität ziellos dahin.

Also muss eine europäische Identität sich auch positiv definieren lassen. Nichts leichter, als Gründe dafür zu finden:

Gründe, in Europa enger zusammenzurücken, gibt es genug. Die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen der Zukunft sind globale, mit China, Indien, Russland und den USA als bedeutende Machtblöcke.

Ein Europa der Kleinstaaterei stünde auf verlorenem Posten.

Schweiz? Südkorea? Singapur? Japan? Alle auf verlorenem Posten.

Aber diese Einwände bringe ich selbstverständlich nur, weil ich im tiefsten Inneren meines Herzens ein verkappter Reaktionär bin, der sich allenfalls (irrtümlich) als liberal versteht:

Kein Wunder, sagen nun die alten Reaktionäre, die Europa noch nie getraut haben. Und sich progressiv gerierende Linke, ebenso wie Kräfte, die sich als liberal verstehen, stimmen mit ein: kein Wunder, der europäischen Identität fehle das gemeinsame Narrativ, Erfahrungen, auf denen sie aufbauen könne. Nur die natürlich gewachsene nationale Identität sei tragfähig. Das ist ahistorischer Populismus, der sich nur den Anschein gesunden Menschenverstandes gibt. Das Nationalbewusstsein in Europa geht im Großen und Ganzen auf die napoleonischen Kriege zurück, und definierte sich entweder mit oder gegen Napoleon. Es ist damit gerade einmal knapp 200 Jahre alt.

Genau. Allein wegen Napoleon haben sich Serben, Kroaten, Bosnier und Albaner in den letzten Jahren abgeschlachtet. Allein wegen Napoleon gibt es Schotten, Waliser, Iren und Engländer – oder Norweger, Schweden und Finnen. Ich ahistorischer Narr!

Heute allerdings ist das alles ganz anders:

Dagegen setzen sich die Alltagserfahrungen zahlreicher nicht nur jüngerer Menschen in den letzten 70 Jahren mehr und mehr über nationale Grenzen hinweg. Man wächst etwa in Deutschland auf, studiert in England, verliebt sich in Frankreich und arbeitet vielleicht später in einem der skandinavischen Länder. Identität ist wandelbar.

Es ist schön, dass es zunehmend vielen Menschen so geht, aber die breite Mehrheit empfindet anders. Als Beleg lässt sich die breite Zustimmung für die populistischen Forderungen der CSU anführen, die schmarotzenden Ausländer sollten gefälligst über die Maut zur Finanzierung unserer Straßenverkehrsinfrastruktur beitragen. „Populistisch“ meint in diesem Fall, ungerechtfertigt vereinfacht und deshalb in breiten Bevölkerungsschichten auf Zustimmung treffen. In breiten Bevölkerungsschichten.

Dann führt Mansfeld in die Grundlagen einer europäischen Tradition und Geistesgeschichte ein, beginnend bei der Aufklärung. Er führt weiter über deutsche Geistesgrößen, die sich selbst als Europäer betrachteten und kommt dann zu gemeinsamen Jugendkultur. Dabei ist ihm wichtig, dass diese gemeinsamen Erfahrungen und Werte nicht übergestülpt sind:

Und bei alledem ist keine gewaltsame Zerstörung gewachsener Identitäten zu konstatieren, wie es als Schreckgespenst an die Wand gemalt wird, sondern eine Vermischung und Überlagerung von Identitätskonzepten innerhalb einer gemeinsamen europäischen Erfahrung. Europäische Identität beinhaltet vor allem eines: kulturelle Vielfalt.

Wie sehr die europäische Identität von der kulturellen Vielfalt profitiert, lässt sich gut nachvollziehen, beispielsweise in Nordirland, im Baskenland, in Katalonien, auf Korsika oder zwischen Flamen und Wallonen. In all diesen Regionen schätzen es die Einwohner, in größeren Einheiten zur kulturellen Vielfalt beizutragen. So sehr, dass sie gelegentlich ihrer großen Freude darüber durch die Zündung von Feuerwerkskörpern oder die Darbringung von Menschenopfern Ausdruck verleihen.

Auf diesem heißen Ritt gelangt Hasso Mansfeld dann zur Demokratie, dem Kern der europäischen Identität:

Demokratie, individuelle Freiheit und Parlamentarismus sind bedeutende gemeinsame Werte, die sich in einem anhaltenden Prozess der Europäisierung herauskristallisiert haben.

Das ist zwar nicht grundsätzlich falsch, doch er lässt dabei einige Fakten unter den Tisch fallen. Zum einen unterscheiden sich beispielsweise die britische, die französische und die deutsche Ausprägung der Demokratie ganz erheblich. Zum anderen ist es gerade die EU, in der demokratische Verfahren und Prinzipien zunehmend ausgehebelt werden – von rechtsstaatlichen Prinzipien und der Einhaltung europäischer Verträge gar nicht zu sprechen.

Das räumt dann sogar Mansfeld selbst ein:

Die EU macht es den Bürgern schwer, sie als etwas Positives zu empfinden. Die derzeitige Verfasstheit der EU steht der europäischen Erfahrung ignorant bis feindlich entgegen. Die EU tritt in der Wahrnehmung ihren Bürgern als undemokratische Struktur gegenüber, in der die Kommission als deutlich mächtiger wahrgenommen wird als das Europaparlament. Kuriose bis nervige Verordnungen, allen voran das Verbot der klassischen Glühbirne, überlagern die großen Erfolge der europäischen Integration seit 1945. Die gewachsene europäische Kultur, das gelebte Europa, das für so viele Menschen Alltag ist, findet keinen politischen Ausdruck. Und das auf dem Mutterkontinent der Aufklärung!

Doch er schließt hoffnungsvoll:

Die Chancen, die ein vereintes Europa mit sich bringt, sind so enorm, dass sie weder von Nationalismus noch von einer nur im administrativen Sinne europäischen Technokratie torpediert werden dürfen. Demokratiedefizitabbau und das Ende massiv regulierender und unpopulärer Vorschriften sind die wichtigsten Themen der nächsten Jahre.

Für ein demokratisches, freies, gelebtes Europa lohnt es sich einzustehen. Als Europäer.

Schlussendlich ist das Ziel Mansfelds eine europäische Nation, also wieder ein Nationalstaat. Doch wie schreibt er selbst: „Der wiedererstarkende Nationalismus ist […] rückwärtsgewandt.“ Anscheinend existiert in seiner Wahrnehmung guter und schlechter, vorwärts- und rückwärtsgewandter Nationalismus. Ersterer ist der neue, europäische, grossmachtsüchtige, den es noch nicht gibt. Letzterer ist der bestehende, der auf lokalen und regionalen Zusammengehörigkeitsgefühlen basiert, und – so scheint es – in unzähligen blutigen Kriegen größtenteils von Großmachtansprüchen befreit ist.

Mansfelds Europa will in die Auseinandersetzung mit China, Russland, den USA. Wirtschaftlich, aber auch vom weltpolitischen Anspruch her. Die Kräfte, die er als „rückwärtsgewandt“ diffamiert, wollen eine friedliche Koexistenz gewachsener Zusammenheitsgefüge in Freiheit, ein Europa der Vielfalt – der von ihm selbst angeführten „kulturellen Vielfalt„. Dabei schließen sich Gruppen von Menschen, die sich zusammengehörig fühlen, freiwillig zu Staaten zusammen und kooperieren auf freiwilliger Basis. Ein liberales Europa, in dem Entscheidungen nahe beim Bürger fallen, in dem der einzelne Bürger noch eine Rolle spielt. Ein Europa, auf das ich hinarbeiten möchte. Ein Europa, von dem ich finde, dass es in der Tradition von Aufklärung, Freiheit und Demokratie steht.

Mansfelds Europa ist ein Superstaat, ein Verwaltungsmonster. Ein Europa, das weit weg von den Menschen ist. Mein Europa ist das nicht. Ich empfinde es auch nicht als ein Ziel, das Liberale anstreben sollten.

Hasso Mansfeld scheiterte übrigens auf Platz 7 der Listenaufstellung der FDP zur Europawahl. Gelandet ist er auf Platz 18. In dieser Parlamentsperiode stellt die FDP 12 Abgeordnete.

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